Verfasst: Mittwoch 1. Oktober 2003, 13:09
Synästhesie
Man schätzt, dass sich bei jedem 2000. Menschen die Sinne überschneiden: Sie riechen, wenn sie etwas ansehen, oder sie hören, wenn sie eigentlich sehen ("Farbenhören"). Das Wort Synästhesie ist abgeleitet von den altgriechischen Wörtern syn und aisthesis, laut Duden die "Miterregung eines Sinnesorgans bei Reizung eines anderen". Synästhesie ist ein zusätzlicher Kanal der Wahrnehmung. Manche Synästhetiker können Buchstaben fühlen, andere können Töne in bunten Farben sehen. Die meisten sehen Texte und Zahlen in Farbe. Manchen erscheint die zusätzliche Information wie auf einem Bildschirm vor Augen, bei anderen findet sie im Kopf statt. Besonders aufschlussreich ist der Fall des russischen Komponisten Alexandr Skrjabin, der schon um die Jahrhundertwende versuchte, seine synästhetischen Erfahrungen dem Publikum zu vermitteln. Seine Symphonie "Prométhée" enthält eine Partitur für ein so genanntes Lichtklavier, das Töne in Farben und Formen übersetzen sollte.
Das Gehirn interpretiert
Das Gehirn bildet die Außenwelt nicht einfach ab, wie das ein Fotoapparat oder ein Tonbandgerät tut. Es interpretiert die Signale von außen und setzt daraus eine ganz persönliche Welt zusammen. Aus den Signalen der Außenwelt wird also eine Innenwelt geschaffen, und sehr oft haben beide Dinge nur wenig miteinander zu tun. Unsere Nervenzellen erschaffen nicht nur ein Abbild, sondern bewerten es auch. So kann das Bild einer roten Rose unwillkürlich den Duft der Blume in uns aufsteigen lassen, vielleicht auch die zärtliche Erinnerung an eine große Liebe. All das geschieht, ohne dass davon etwas in unser Bewusstsein dringt. Der amerikanische Neurophysiologe Benjamin Libet fand heraus, dass das Bewusstsein etwa eine halbe Sekunde hinter den Aktivitäten des Gehirns hinterherhinkt. Wenn unser Bewusstsein glaubt, eine Entscheidung zu fällen, hat unser Gehirn schon längst alle Informationen der Außenwelt analysiert, bewertet und sich zurechtgelegt, was es mit diesen Informationen anfangen will. All das, was wir davon nicht merken sollen, wird vom Gehirn herausgefiltert.
Erklärungen zur Synästhesie
Es kann sein, dass bei Synästhetikern die Informations- und Wahrnehmungsfilter durchlässiger sind als bei der Mehrzahl der Menschen. Doch diese These ist umstritten, die Ergebnisse eines Tierexperiments scheinen sie jedoch eher zu stützen: Werden Nervenbahnen nämlich in einer frühen Entwicklungsphase falsch verschaltet, so kann ein Tier sogar mit dem Hörzentrum des Gehirns sehen. Mriganka Sur und seine Arbeitsgruppe vom MIT leiteten bei neugeborenen Frettchen die vom Auge kommenden Nerven in das Hörzentrum um. Unter dem Einfluss der vom Auge kommenden Reize bildeten sich Nervenzellen aus, die in typischer Weise optische Eindrücke verarbeiten. Allein die Qualität des einlaufenden Signals, so folgern die Forscher, entscheidet über die Funktion eines speziellen Hirnteils.
Der britische Neurologe Simon Baron-Cohen glaubt, dass im Gehirn von Synästhetikern eine ungewöhnliche Verdrahtung existiert.
Kernspin-Aufnahme während einer synästhetischen Wahrnehmung
Aktuelle PET und fMRI Studien zeigen, dass Synästhetiker auch eine aktive Sehrinde haben, wenn sie etwas hören. Manches spricht dafür, dass Synästhesie genetische Ursachen hat. Von 26 Synästhetikern, die an der Universtität Cambridge untersucht wurden, hatten die Mehrzahl nahe Verwandte, bei denen das Phänomen ebenfalls auftrat. Auffällig ist auch: Über achtzig Prozent aller Synästhetiker sind Frauen; der Anteil homosexueller Männer und Frauen scheint überproportional hoch zu sein. Allerdings leiden alle Studien darunter, dass bisher vergleichsweise wenige Menschen untersucht werden konnten. Auch "normale" Menschen können unter Drogen synästhetische Erlebnisse haben.
Angela Bode
Man schätzt, dass sich bei jedem 2000. Menschen die Sinne überschneiden: Sie riechen, wenn sie etwas ansehen, oder sie hören, wenn sie eigentlich sehen ("Farbenhören"). Das Wort Synästhesie ist abgeleitet von den altgriechischen Wörtern syn und aisthesis, laut Duden die "Miterregung eines Sinnesorgans bei Reizung eines anderen". Synästhesie ist ein zusätzlicher Kanal der Wahrnehmung. Manche Synästhetiker können Buchstaben fühlen, andere können Töne in bunten Farben sehen. Die meisten sehen Texte und Zahlen in Farbe. Manchen erscheint die zusätzliche Information wie auf einem Bildschirm vor Augen, bei anderen findet sie im Kopf statt. Besonders aufschlussreich ist der Fall des russischen Komponisten Alexandr Skrjabin, der schon um die Jahrhundertwende versuchte, seine synästhetischen Erfahrungen dem Publikum zu vermitteln. Seine Symphonie "Prométhée" enthält eine Partitur für ein so genanntes Lichtklavier, das Töne in Farben und Formen übersetzen sollte.
Das Gehirn interpretiert
Das Gehirn bildet die Außenwelt nicht einfach ab, wie das ein Fotoapparat oder ein Tonbandgerät tut. Es interpretiert die Signale von außen und setzt daraus eine ganz persönliche Welt zusammen. Aus den Signalen der Außenwelt wird also eine Innenwelt geschaffen, und sehr oft haben beide Dinge nur wenig miteinander zu tun. Unsere Nervenzellen erschaffen nicht nur ein Abbild, sondern bewerten es auch. So kann das Bild einer roten Rose unwillkürlich den Duft der Blume in uns aufsteigen lassen, vielleicht auch die zärtliche Erinnerung an eine große Liebe. All das geschieht, ohne dass davon etwas in unser Bewusstsein dringt. Der amerikanische Neurophysiologe Benjamin Libet fand heraus, dass das Bewusstsein etwa eine halbe Sekunde hinter den Aktivitäten des Gehirns hinterherhinkt. Wenn unser Bewusstsein glaubt, eine Entscheidung zu fällen, hat unser Gehirn schon längst alle Informationen der Außenwelt analysiert, bewertet und sich zurechtgelegt, was es mit diesen Informationen anfangen will. All das, was wir davon nicht merken sollen, wird vom Gehirn herausgefiltert.
Erklärungen zur Synästhesie
Es kann sein, dass bei Synästhetikern die Informations- und Wahrnehmungsfilter durchlässiger sind als bei der Mehrzahl der Menschen. Doch diese These ist umstritten, die Ergebnisse eines Tierexperiments scheinen sie jedoch eher zu stützen: Werden Nervenbahnen nämlich in einer frühen Entwicklungsphase falsch verschaltet, so kann ein Tier sogar mit dem Hörzentrum des Gehirns sehen. Mriganka Sur und seine Arbeitsgruppe vom MIT leiteten bei neugeborenen Frettchen die vom Auge kommenden Nerven in das Hörzentrum um. Unter dem Einfluss der vom Auge kommenden Reize bildeten sich Nervenzellen aus, die in typischer Weise optische Eindrücke verarbeiten. Allein die Qualität des einlaufenden Signals, so folgern die Forscher, entscheidet über die Funktion eines speziellen Hirnteils.
Der britische Neurologe Simon Baron-Cohen glaubt, dass im Gehirn von Synästhetikern eine ungewöhnliche Verdrahtung existiert.
Kernspin-Aufnahme während einer synästhetischen Wahrnehmung
Aktuelle PET und fMRI Studien zeigen, dass Synästhetiker auch eine aktive Sehrinde haben, wenn sie etwas hören. Manches spricht dafür, dass Synästhesie genetische Ursachen hat. Von 26 Synästhetikern, die an der Universtität Cambridge untersucht wurden, hatten die Mehrzahl nahe Verwandte, bei denen das Phänomen ebenfalls auftrat. Auffällig ist auch: Über achtzig Prozent aller Synästhetiker sind Frauen; der Anteil homosexueller Männer und Frauen scheint überproportional hoch zu sein. Allerdings leiden alle Studien darunter, dass bisher vergleichsweise wenige Menschen untersucht werden konnten. Auch "normale" Menschen können unter Drogen synästhetische Erlebnisse haben.
Angela Bode